Lehrgang für Rheinsteuerleute 2023

Lehrgang für Rheinsteuerleute 2023

Wie ich als Wiedereinsteigerin eines am Dortmund-Ems-Kanal (DEK) gelegenen Rudervereins zu einem Rheinsteuerleute Lehrgang zu Ruderclub Germania Düsseldorf 1904 e.V. kam? Um ehrlich zu sein, die Beweggründe waren ganz menschlicher Natur: Den Rhein genießen, mal raus aus Westfalen, dem heimischen Revier den Rücken kehren und bei den Wanderfahrten nicht immer den Steuermann fragen müssen, was die Schifffahrtszeichen und Schwimmkörper in und am Rande der Wasserstraßen bedeuten.

Den Lehrgang als Rhein-fremde Ruderin als „Rhein-Kaffeefahrten-Spaßprogramm“ anzusehen, stellte sich bereits am ersten Vormittag während der Theorieeinheiten als Fehleinschätzung heraus. Noch nie zuvor betrachtete ich in so kurzer Zeit so viele Bilder von vollgelaufenen und zu rettenden Ruderbooten. Als mir im letzten Sommer vor einer Wanderfahrt auf dem Peenestrom ein Vereinsmitglied erzählte, dass man auch unter Wasser weiterrudern kann, dachte ich, er mache einen Witz. Mein Unterbewusstsein wusste es bereits damals besser: Ich träumte vor der Fahrt von unserem absaufenden Boot. Man nennt dies allerdings die „Notschwimmeigenschaft“ eines Bootes ausnutzen, so erklärte es mir der 100 Seiten dicke Skript des Lehrgangs.

Der Lehrgang setzte sich aus zwei Wochenenden zusammen: Teil I und II und einen Tag Lehrwanderfahrt. Die Themen der Theorie waren: Steuerkunde, gesetzliche Grundlagen und Schifffahrtszeichen. Die Binnenschifffahrtsordnung des Rheins, eingeführt 1939, letztmalig novelliert 2011, ist Teil des deutschen Schifffahrtsrechtes. Auf Mosel, Donau und am Bodensee gelten andere Schifffahrtsordnungen und naheliegenderweise ebenfalls für die mündungsnahe Elbe, Weser und Ems und auf dem Nord-Ostsee-Kanal. Das älteste „Wasserrecht für „Kopmann und Schippers“ stammt aus der Hansestadt Lübeck im Jahr 1537. (Nutzungsrechte? https://de.wikipedia.org/wiki/Schifffahrtsrecht, 20.03.2023). Die für Ruderboote relevanten Bestimmungen fasste unser Skript inhaltlich und schön layoutet zusammen.

In diesen drei Lehrgangswochen waren die zukünftigen Rheinsteuerleute gut beschäftigt. In den praktischen Einheiten der Steuerkunde sollten dann die Besonderheiten strömender Gewässer, des Rheins, erprobt werden.

Mit dem Genuss des köstlichen von dem Restaurant des Clubhauses servierten Mittagessen konnte man zunächst die aufkeimenden Sorgen vor der Praxis am Nachmittag des ersten LG Tages hinunterschlucken. Am Steg bemerkte ich zu meiner Beruhigung, dass auch die Rhein erfahrenen Club- und Lehrgangsteilnehmer und Teilnehmerinnen etwas nervös wurden. „Wie groß war nochmal der Anlegewinkel in dem der Bug des Bootes nach der Wende Richtung Steg zeigen musste?“ In welchem Abstand zum Steg würde man die Wende einleiten? Eine Steuerfrau, ein Steuermann gibt klare, laute, verständliche Kommandos und weiß in jedem Moment, ohne vorher lange darüber nachdenken zu müssen, was zu tun ist. Wenn ich an die Wanderfahrt entlang der Lahn-Mäandern im letzten Jahr bei sprudelndem Hochwasser zurückdachte, schien es mir, als sei, in jedem Moment, ohne nachzudenken, genau zu wissen, was zu tun ist, die wichtigste Eigenschaft eines Steuergängers.

Der erste Praxisnachmittag bestand aus dem Kennenlernen der Tücken und dem Ausfahren der für den Rhein typischen Buhnen und Kribben bei Schiffsverkehr und im Allgemeinen, dem Üben der Kommandos beim Wenden gegen den Strom und das Taxieren beim Anlegen. Die Stimmung in meinem Boot war aufmerksam und entspannt. Alle bewältigen die ihnen gestellten Aufgaben und auch ich konnte noch mithalten.

Als wir uns am nächsten Wochenende wiedertrafen, stand die Lehrwanderfahrt auf dem Programm. Zu Übungszwecken wurde die Steueraufgabe in meinem Boot für die gesamte Strecke des Marathons ab Leverkusen auf zwei Personen aufgeteilt. Auf mich kamen also 20 KM-Steuern auf dem Rhein. Auch wenn die Fahrt den beschaulichen Namen „Krokustour“ trug, konnte ich nach dieser Eröffnung mein Kaffeefahrt Feeling wohl besser in Form einer Thermoskanne gleich vor Fahrtbeginn am Germania Bootshaus stehen lassen.

Mein Lehrgangs-Companion hatte mir Vieles voraus, das sah ich spätestens, als er seinen Spickzettel mit den für die Strecke relevanten Hinweisen aus der Brustseitentasche seines Anoraks zupfte. Dann kam auf meiner Steuerstrecke tatsächlich ein Fahrtenverlauf, bei der ich im Dunst des Tages auf 300 - 500 m nicht mehr erkennen konnte, geht es links oder rechts weiter? Was sollte ich machen, wenn mir jetzt 300 m voraus unvermutet zwei Schiffe nebeneinander entgegenkämen und sie sich mit Kurs auf die Außenkurve befänden? Zum Wechseln auf die andere Flussseite wäre es dann wegen des toten Winkels für unser Boot zu spät. Von meinem Companion erfuhr ich, dass die einheimischen Rheinsteueranwärter und -anwärterinnen zusätzlich zum Lehrgang weitere 180 KM Lehrsteuereinheiten absolvieren mussten, bevor sie sich das ersehnte Zertifikat in die Tasche stecken konnten.

Dachte ich vor dem Lehrgang noch, ich könnte die fehlende Rhein- mit meiner Coastal Booterfahrung ausgleichen – da kannte ich die Schifffahrtsverordnungen aber auch noch nicht -, stellte sich bei meinen ersten Steuerversuchen auf einer längeren Strecke stromabwärts mit Schiffsverkehr in der Praxis schnell heraus, dass dem nicht so war. Höhere Wellen auf dem Rhein bei Schiffsverkehr sind nicht mit den Wellen eines küstennahen Gewässers gleichzusetzen. Ich verstand diese Wellen, die nicht vom Wind geführt wurden, nicht und mir fehlte die Erfahrung, wie viele Meter ich von den Seitenwänden eines Schiffes, das länger als die 110 m eines Kanalschiffes war, mit dem Ruderboot Abstand halten musste, ohne in einen Sog zu geraten. Zu welchen hohen Rhein-Wellen, die von allen Seiten am Heck des Schiffes chaotisch heranzurollen schienen, sollte ich mich parallel stellen, um sie anzunehmen? Auch dieses Problem gab es auf dem Kanal zwischen Ruderboot - Schiff – Spundwand – oder Ufer nicht so häufig. Der Platz auf dem Kanal reichte meist nur für die Anfahrt der Wellen im spitzen Winkel oder das „Ruder halt“, um die Wellen anzunehmen.

Vor der Mittagspause ereilte unser Boot ein weiteres Missgeschick. An der Innenkurve vor dem Steg des Dormagener Rudervereins schwappte zum zweiten Mal ein ordentlicher Schwall Wasser dem Obmann auf 1 in den Rücken. Ich war froh, dass er im „toten Schiffs-Innenwinkel“ saß und ich sein Gesicht nicht sehen konnte. Etwas fassungslos flüsterte ich meinem Schlagmann und Steuercampanion zu: „Wo kommen die Wellen her, weit und breit kein Schiff, kein Wind und wir sind in der lahmen Innenkurve?“ Dieser antwortete gewohnt entspannt: „Manchmal ist das auf dem Rhein so – Wellen aus dem Nichts.“ In diesem Moment verging mir der Spaß. Nein, sphärisch mag ich den Rudersport nicht.

Beim Anlegemanöver am Steg der Dormagener schien mir die Gegenströmung so stark, dass ich für einen Moment dachte und schnell meinen Schlagmann fragte: „Was passiert, wenn wir es nicht schaffen, gegen den Strom anzulegen“. Dieses unschöne Gefühl kannte ich schon von einem in der Gegenströmung der Donau gelegenen Steg nach einem langen Wanderfahrtentag. Allerdings saß damals ich auf dem Rollsitz und hatte nicht wie jetzt vier starke Männer vor mir. Die lakonische Antwortet meines Schlagmannes lautete: „Das müssen wir“.

An Land konnte ich die durchnässte Kleidung meines Schiffsführers begutachten und erfuhr von den anderen, dass es auf dieser Lehrfahrt nur eine Regel gab: „Der Obmann darf nicht nass werden“. Ich schlug einen großen Bogen um den meinen. An Land war es egal, ob ich die Innen- oder die Außenkurve nahm. „Wellen annehmen“ waren also die Zauberworte auf dieser Lehrfahrt. Im Kanal-Revier zuhause zuckt der Steuermann mit den Achseln und teilt uns mit: „Rudern ist ein Wassersport“. Manchmal gibt es feine Unterschiede zwischen Rheinland und Westfalen.

Auch sagt man in Westfalen, der Heimat vieler bodenständigen Sprüche: „Hochmut kommt vor dem Fall“.  Diese Weisheit sammelt ich auf dieser Lehrwanderfahrt ebenfalls ein, indem ich in Dormagen über ein am Boden liegendes Seil stolperte und zu Boden ging. Zurück in Düsseldorfer trug ich die Skulls humpelnd in das Germania Bootshaus. Ich finde, diese Lehrfahrt hatte alles geboten, was es zu bieten gab. Doch wenn ich an sie zurückdenken werde, bin ich mir sicher, sie wird mir ein Lächeln auf das Gesicht zaubern.

Meine Mit-Steueranwärter und -anwärterinnen aus dem Düsseldorfer und Kölner Revier schienen zufrieden und entspannt, sowohl zu Beginn als auch am Ende der Lehrwanderfahrt und überhaupt. Eine Ruderin aus Köln, steuerte gekonnt sogar die gesamte Strecke der Lehrwanderfahrt.

Trotz einiger Krankheit bedingter Widrigkeiten bestanden alle 10 Teilnehmer unter der erfahrenen Leitung von Hermann Höck, mit Hilfe des ausführlichen Skriptes und eines verbandsinternen Fragekataloges bestens vorbereitet die Prüfungen dieses Lehrgangs. Die 70 Fragen des Prüfungsbogens in 60 Minuten sogar überdurchschnittlich gut. Der Lehrgang wird für die Trainer-C- Ausbildung und -Verlängerung angerechnet. Ein großer Dank an das Lehr Team der praktischen Einheiten: Günter Fügmann, Sven Winkhardt und die zahlreichen als Obleute tätigen Helfer. Ohne sie alle wäre der Lehrgang nicht möglich gewesen.


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