Ruderherzen zum Ende der Winterpause 2022/2023

Fast alle meine Wanderfahrten im neuen Jahr sind gebucht oder in Warteliste positioniert. Die Entscheidungen mussten schnell fallen, sonst waren die Fahrten vergriffen - schneller als ein belegtes Brötchen zum Sonderangebotspreis zu Feierabend an der Tankstelle. Nach gut zwei Monaten Ruderpause war ich mir mal wieder unsicher, was ich mir als Höchstsatz an täglichen Ruderkilometern zumuten konnte. Meine im Sommer erarbeitete Kondition war dahin und vergriffen, schneller als besagtes Brötchen. Nur wenige Tage nach meinem Zugriff auf diese und jene Wanderfahrt blühten meine Bedenken in Büscheln, als wären sie Februar-Anemonen. Doch in solch einer Phase des Zauderns und der Ernüchterung hilft nur eines: Rudern.

Was eignete sich zur Einstimmung auf ein neues Wanderfahrten Jahr besser als ein Rheinmarathon? Das sollte konkret heißen: 43 Kilometer flussabwärts auf der klassischen Marathon Wettkampfstrecke von Leverkusen nach Düsseldorf. Konnte denn flussabwärts auf dem Rollsitz so viel schief gehen? Ausgeschrieben war die Tour mit dem für mich abenteuerlichen Namen „Eisbrechertour“. Schon beim Klang dieses Wortes musste einem der Winterschlaf doch aus den Augen fallen und die Muskeln zu neuem Leben erwachen?

Rein optisch wies der schnittige, weiß lackierte Bootstyp der Schellenbach GmbH, Spezialist für High-Tech Renn- und Sportruderboote seit 1931, als wir ihn aus der Bootshalle des Ruderclubs Germania Düsseldorf 1904 e.V. zogen, keine besonderen Merkmale für diese spezielle Wintertour auf. Aber wer weiß schon, was so ein Boot alles hergibt? Die Bootswerft des Erbauers liegt in Linz an der Donau. Mit schnellen Fluss Strömungen kennt der Bootsbauer sich aus. In den 60er Jahren wurden die Boote dieser Werft zum Prototyp der mit Glasfaser verstärkten Sport- und Rennboote.

Vor dem Zweiten Weltkrieg liefen diese Boote, nein, nicht als „Linzer Torte“, aber ebenso werbeträchtig bekannt als „Linzer Boote“ durch die nationalen Gewässer Deutschlands. Auch während der Olympiade 1936 waren sie am Start. War der Deutschland Achter, der vor den Augen des vor Wut entbrannten Reichskanzlers Adolf Hitlers geschlagen wurde, ein „Linzer Boot“? Ruderte auch Adolf Hitler, in Braunau am Inn geboren, oder seine Familienangehörigen? Doch die Geschichte des Deutschen Ruderverbandes, bekannt als Schlagmann des in der NS-Zeit gleichgeschalteten Sportes, wird derzeit noch ein wenig von dem Mantel des Schweigens umhüllt.

Einfacher ist es vielleicht zunächst klären, ob der Aufstieg der Werft dieser Linzer Boote etwas mit der Produktion des weltberühmten nationalen österreichischen Zuckerbackwerkes, der Linzer Torte, zu tun hatte. Denn die Ruderer dieses so bekannten Bootes werden mit genanntem Backwerk nach getaner Arbeit wieder zu Kräften gekommen sein – mit was sonst? Ich hätte nach dem Marathon auch gerne ein Stück verzehrt.

Bei der Linzer Torte, handelte es sich um das älteste weltweit überlieferte Tortenrezept überhaupt. Das Ur-Rezept aus dem Jahr 1653, fünf Jahre nach dem Ende des 30-jährigen Krieges, stammte aus Verona - auch die Menschen in Südeuropa hatten Hunger auf Süßes. Es ist die erste Torte, die jemals nach einer Stadt benannt wurde, so wie vielleicht auch das Linzer Boot (?). Seit dem Jahr 2009 gibt es sogar einen Tag der „Linzer Torte“, der vermutlich nicht nur regional gefeiert wird. Ob es auch einen Tag des „Linzer Bootes“ gibt? Wäre es nicht ein Anlass, diesen Tag in Düsseldorf einzuführen, zu Ehren des einzigen Ruderbootes in Deutschland, das zu einer „Eisbrecher Tour“ startet – eine Woche vor dem Karnevals Sonntag?

Da in der Regel bei Eisschollen auf dem Wasser Ruderverbot herrscht, könnte es auch sein, dass sich die Fahrtenbezeichnung, auf die im Winter erstarrten und vereisten Ruderherzen bezieht. Mit dieser Tour sollten sie für die kommende Saison geschmolzen und mehr: vorgeglüht werden: Es geht wieder aufs` Wasser.

Dem Ruderherz könnte auf dieser alljährlichen Tour des RC Germania Düsseldorf 1904 einiges zugemutet werden. Auf meine Frage, ob wir auch bei Dauerregen gestartet wären, kommt routiniert die Rhein-Wetter erprobte Antwort des Fahrtenleiters. „Diese Frage stellt sich uns gar nicht“. Gerudert wird bei jedem Wetter, auch die 43 km. Es sei denn, die Temperatur fällt unter 5 Grad minus. Die Fahrt wäre also im Zweifelsfalle nichts für mein Hasenherz gewesen. Vorsichtshalber habe ich in den Tagen vor dem Start sorgfältig die Wetterkarten studiert. Ein gefährlicher Temperatursturz stand nicht in Aussicht, angekündigt waren 8 Grad, Wolken und kein Wind. Um ehrlich zu sein, sonst stände ich hier nicht am Steg.

Um es zusammenzufassen, Alles ging gut. Von meinen drei Paar Handschuhen, die ich mir vorab voller Ratlosigkeit eingesteckt hatte, brauchte ich nur eines und die anderen gar keine. Neu war die Erfahrung der Kreuzwellen, wenn wir zwischen zwei Containerschiffen hindurchruderten. Müßig zu sagen, dass ein Containerschiff nicht mit den Spundwänden im heimatlichen westfälischen Kanal Revier des ARC in Münster zu vergleichen ist. Beeindruckend waren die vorausschauenden Ahnungen des Fahrtenleiter für den Schwung und Schwall der Welle. Nur einmal schwappte während der ganzen Fahrt Wasser ins Boot.

Beim Rudern gibt es einen besonderen Moment: Wenn die Wellen kommen. Dann wird einem still zumute und man wird eins mit der neuen Bewegung des Bootes – an diesem Tag mit Blick in die Weite des Rheintals.

Nach dem Training ist noch nicht vor dem Training. Zuerst will ich jetzt wissen, wer den amerikanischen Achter, der 1936 siegte, erbaute. Dazu werde ich das Buch von Daniel James Brown lesen: „Das Wunder von Berlin“ und vielleicht dabei ein Stück Linzer Torte futtern. Eine Woche später bin ich schlauer: Der offensichtlich geniale englische Bootsbauer (und auch Coach im Hintergrund) George Yeomann Pocock (1891 – 1976) verhalf den Amerikanern mit seiner Granaten-Rennschale zum olympischen Sieg. Das Buch von Brown beginnt mit einem Zitat von ihm „Rudern ist eine große Kunst, die großartigste Kunst, die es gibt. …“.

Wenn ich diesen biographischen Bericht so lese, denke ich, dass Hasenherzen beim Rudern nichts verloren haben. Ich werde also das meinige beim nächsten Rheinmarathon versenken.


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