Kultur und Natur auf der Tour de Ruhr

Die grüne Oase Ruhr und belohnt Ruderer für ihren Einsatz.

Anfang der Sechziger Jahre, ich war gerade Teenager, hörte man im Radio häufig einen Schlager. Zwei Zeilen des Refrains sind mir im Gedächtnis haften geblieben: „Das kommt vom Rudern, das kommt vom Segeln“. Wer das Lied sang und worum es geht, habe ich vergessen. Aber diese zwei Zeilen summen gelegentlich noch heute in meinem inneren Gehör. Sie klingen irgendwie nach Fernweh und einer anderen Welt, geprägt von Wasser, Wind und Wellen, sie künden von einer Sehnsucht nach dem Ursprünglichen, eine Faszination, die mich vor allem auch auf unseren Wanderfahrten immer wieder packt. Wanderrudern ist eben mehr als Wassersport.

Das gilt auch für die diesjährige Tour de Ruhr. Sie führte uns (zehn Clubmitglieder verteilt auf zwei Vierer mit) am ersten Juliwochenende über 65 Kilometer in vielen Windungen von Herdecke nach Kettwig, durch drei Stauseen (Harkort, Kemnader und Baldeney), über fünf Umtragestellen (Ächz! Hier bewährte sich unser mitgeführter Bootswagen) und fünf Bootsgassen, vorbei an etlichen Burgen und Herrenhäusern. Wer die Ruhr mit Kohle, Eisen und Stahl assoziiert, liegt falsch. Von der früheren industriellen Bedeutung des Ruhrgebiets ist vom Fluss aus nur wenig zu sehen, einige wenige Relikte wie die frühere Henrichtshütte in Hattingen und stillgelegte Fördertürme in Witten und Essen, die aus dem Ufergrün herausstachen.

Aber die Kultur und Geschichte des Ruhrgebiets sind trotzdem allgegenwärtig. Unsere erste Mittagsrast hatten wir bei leichtem Nieselregen unter den Bäumen des Biergartens am Königlichen Schleusenwärterhaus an der Herdener Schleuse – das älteste an der Ruhr, gebaut 1835. Und die Mittagsrast am Sonntag nahmen wir im Fährhaus Rote Mühle ein, Ende des Mittelalters als Schleifmühle für Gewehrläufe gegründet, später dann eine Anlegestelle für Kumpel, die auf die andere Ruhrseite zur Zeche Heinrich nach Überruhr übersetzten. Heute noch läutet die Glocke, die damals das Ablegen des Fährschiffs signalisierte – jetzt allerdings, um den Kellnern Beine zu machen, dass die Küche wieder ein Gericht für die Gäste fertiggestellt hat. Die Rote Mühle ist gut für eine Rast, aber leider, trotz ihrer Tradition als Anlegestelle, für Ruderboote heute weniger geeignet.

An die industrielle Hochzeit des Ruhrgebiets erinnert auch die im Tudor-Stil gebaute Birschel-Mühle in Hattingen, die nichts mit der Herstellung des Bircher-Müsli zu tun hat, wie einige anfangs vermuteten, die den Namen nicht ganz richtig verstanden hatten. Früher eine Kornmühle ist sie jetzt ein Hotel mit einer rudimentären Anlegestelle. Hier haben wir übernachtet, müde nach den ersten 35 Kilometern, eingelullt vom Rauschen des nahen Wehres auf der einen und dem Gequake der Frösche auf der anderen Seite. Übrigens eine tolle Neuerung für die Tour, die Übernachtung im Hotel. Früher ging‘s nach dem ersten Tag mit der S-Bahn von Kupferdreh zur Übernachtung nach Hause und am nächsten Morgen wieder mit der S-Bahn zurück. Diesen Hotel-Komfort sollten wir für die Zukunft beibehalten.

Auch dass wir etwas mehr ruhraufwärts mit der Tour begonnen haben (die zweite Innovation), um von dem schöneren Teil der Ruhr mehr mitzubekommen, hat sich gelohnt. Die Ruhr ist heute eine grüne Oase, wir begegneten Fischreihern und Kormoranen, und auch ein Biber wurde von uns gesichtet, wenn auch leider nicht von allen. Vor allem aber sahen wir Kanadagänse, die sich dort zunehmend breitmachen und sich, so der flüchtige Eindruck, dort nicht nur exponentiell vermehren, sondern auch eine besondere Präferenz für die Bootsanlegestege als kollektives Klo entwickeln. Das Ab- und Anlegen war dann eine – vorsichtig formuliert – unästhetische und, mehr noch, unhygienische Angelegenheit. Dabei ist die Kanadagans erst seit den 1970er Jahren in Deutschland heimisch. Wenn Seehofers Wort von der Obergrenze bei Migranten überhaupt einen Sinn haben sollte, dann hier. An der Ruhr jedenfalls, wo diese Gänse keine natürlichen Feinde kennen, sind sie an einigen Stellen schon eine richtige Plage.

Eine weitere Erfahrung: Die Tour war in gewisser Hinsicht auch eine Rehabilitierung des Alters. Zumindest was die Leistungsfähigkeit von Booten betrifft. Denn der Sturmvogel, der einige Kilogramm und Jahre mehr auf dem Kiel hat, erwies sich an beiden Tagen bei unterschiedlichen Besatzungen im Verhältnis zu dem jüngeren und leichteren Albatros als das schnellere Boot.

In diesen beiden Tagen entstand zwischen uns Ruderinnen und Ruderern ein ganz eigener Kosmos, wie er für Wanderfahrten typisch ist. Der Normalalltag, Homeoffice, Ukrainekrieg oder Ausschreitungen in Frankreich sind weit entfernt. Die Gedanken kreisen um die wichtigen nächsten Dinge: Wie viele Kilometer sind es bis zum nächsten Wehr; müssen wir die Boote darum herumtragen oder gibt es eine funktionierende Bootsgasse; wer steuert und wer sitzt auf Schlag; wann ist die nächste Trinkpause? Es sind die einfachen existenziellen Dinge, die einen bewegen, die das Leben auf dem Wasser bestimmen –den Geist frei- und seine Faszination ausmachen.

Dank an Beate, Ela, Monika und Renate, an Arno und Rudi, an unsere „embedded“ Fotoreporterin Birgitta, an unsere Fahrtenleiter Sven und Wolfgang, die das alles möglich machten. Und an Sebastian, der uns freundlicherweise nach Herdecke transportierte und den Bus für uns in Kettwig bereitstellte.

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