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Rudern auf der Memel?
Als ich erstmals von dieser Wanderfahrt hörte, musste ich unwillkürlich an die erste Strophe des Deutschlandliedes denken: „Von der Maas bis an die Memel.“ Nun, die Maas kannte ich, sie fließt streckenweise ja auch nur wenige Kilometer westlich der Grenze zu den Niederlanden. Aber die Memel? Großdeutsche Phantastereien pflege ich nicht, ich wusste nur, dass sie irgendwo in Osteuropa fließt.
Also erst mal zur historisch-geographischen Einordnung: Die Memel, insgesamt 937 Kilometer lang, entspringt in Weißrussland, fließt aber zu einem Großteil durch Litauen, wo sie Nemunas heißt und in das Kurische Haff und damit letztlich in die Ostsee mündet. Bis zum Ersten Weltkrieg lag sie mit ihrem letzten Teilstück nahe der Nordgrenze von Ostpreußen – daher ihre Erwähnung im Deutschlandlied –, dahinter erstreckte sich dann schon das zaristische Russland.
Mit dieser rudimentären Kenntnis starteten wir Anfang August mit vier Booten und 19 Teilnehmern bei der Memel-Brücke nahe der Ortschaft Merkine, knapp 50 Kilometer von der weißrussischen Grenze entfernt. Auf den nächsten Etappen erwartete uns eine weitgehend unberührte Naturlandschaft. Gelegentlich schreckte unsere kleine Armada eine Kolonie Silberreiher auf. Die nächste Flussbrücke sahen wir erst am Mittag des zweiten Tages. Da hatten wir schon circa 70 Kilometer hinter uns.
Die Memel strömte in vielen Flusswindungen durch das flache Land, vorbei an Wäldern, nur selten unterbrochen von Wiesen, Feldern und einsamen Gehöften im traditionellen Holzhausstil. In der Nähe kleiner Ortschaften tauchte ab und zu mal ein Angler am Flussrand auf. Konkurrierenden Bootsverkehr hatten wir auf den ersten Etappen nicht zu befürchten. Die Memel führte jetzt im Sommer ohnehin wenig Wasser, einige Male saßen wir sogar auf Grund auf und mussten raus dem Boot und es in tieferes Wasser schieben. Langsam lernten wir, den Fluss zu lesen, um die Untiefen frühzeitig zu erkennen und zu umschiffen.
Erst kurz vor Kaunas, wo der Fluss für ein Wasserkraftwerk aufgestaut und durch Algen grünlich gefärbt ist, wurde die Memel breiter, die Strömung ließ nach. Hier endete unsere Rudertour nach 191 Kilometern mit einem Exkurs in die litauische Historie. In Kaunas finden sich noch zahlreiche Spuren deutscher Besiedelung, unter anderem etwa an einem Gotteshaus die Inschrift „Garnisonskirche“. Die immer wieder zerstörte und wiederaufgebaute Burg erzählt von den langen Kämpfen zwischen Litauern und deutschen Ordensrittern. Auf unserem Programm stand auch der malerische Ort Trakai in der Nähe der Hauptstadt Vilnius, berühmt wegen seiner Wasserburg, einer internationalen Ruderregattastrecke und eines kleinen privaten Rudermuseums. Und natürlich machten wir auch einen Abstecher in die moderne Hauptstadt Vilnius mit ihrem historischen Stadtkern, ihren vielen Kirchen und, wieder eine Reminiszenz, der sogenannten Deutschen Straße in der Altstadt.
Die Wanderfahrt leiteten Hans-Heinrich Busse uns seine Frau Vida, eine gebürtige Litauerin, von der Hamburger Rudergesellschaft Hansa. Dank ihrer intimen Landeskenntnis konnten sie uns nicht nur vieles zeigen und das Land nahebringen. Sie hatten die Fahrt auch gut organisiert, mittags gab’s immer ein Picknick direkt an der Memel, und den Landdienst hatten sie outgesourct, sodass wir uns voll aufs Rudern und das Land konzentrieren konnten.