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Rudern auf zwei Kontinenten
Auf zwei Kontinenten und zwischen zwei Meeren gelegen, verbunden durch eine Meerenge, an deren einem Ende zwei Flüsse in einen tiefen Meeresarm münden. Vor rund 2.700 Jahren siedelten sich hier die ersten Menschen an, angezogen von der günstigen Lage am Wasser, später war es ein kultureller und politischer Brennpunkt für Griechen, Römer, orthodoxe Christen, Armenier, Juden und Osmanen, heute ist es eine der ganz großen und von vielen Kulturen geprägten Metropolen: Istanbul!
Die Lage am Wasser macht den Umgang mit Booten seit fast drei Jahrtausenden zur Selbstverständlichkeit. Kein Wunder, dass sich aus dieser Tradition heraus heute an den Ufern des Goldenen Horns (Haliç) und des Marmarameers eine lebendige Ruderszene entwickelt hat. Entlang der Ufer gibt es unzählige Stege und Anlegestellen, dahinter an Land eine Vielzahl von Bootshäusern; mal kleine, fast improvisiert wirkende Bootsschuppen, mal große, stattliche Wassersportzentren, in deren Hallen Ruder- und Segelboote sowie Kajaks und Kanus auf ihren Einsatz warten.
Der Blick hinaus in die Welt ist für junge Menschen, die von der maritimen Tradition ebenso geprägt sind wie vom internationalen Flair der Stadt, eine Selbstverständlichkeit - für Ruderinnen und Ruderer allemal. Doch es dauerte bis 2023, bis sich die ersten Ruderinnen und Ruderer des Suadiye Kürek ve Kano Spor Kulübü zum Düsseldorfer Rheinmarathon anmeldeten und nach einem Behördenmarathon - die engherzige Visapolitik der Bundesrepublik lässt grüßen - auch tatsächlich anreisen und starten durften. 2024 dann die Wiederholung und eine Einladung zum Gegenbesuch in Istanbul.
So versammelten sich am 18. März 2025 zwölf erwartungsvolle Ruderinnen und Ruderer aus Düsseldorf, Flensburg und Köln am Steg des Fatih Belediyesi Kano ve Kürek Sporları Merkezi, um mit unseren GastgeberInnen Andac, Pelin, Emre, Sinan, Ali und dem jungen Emre, in die Boote zu steigen und das Goldene Horn zu entdecken.
Gerudert wurde in Coastal 4+, einfachen, robusten Booten, die sich vom Wellengang der Fähren nicht beeindrucken ließen. Dafür war das Panorama rechts und links des Wassers beeindruckend. Hoch auf dem Hügel thront über allem die Süleymaniye Moschee, am Ufer die Stephanskirche, gegenüber das ehemalige Werftenviertel Kasimpaşa, weiter ins Goldene Horn hinein erst die Moschee, dann der große Friedhof von Eyüpsultan mit dem Aussichtspunkt Pierre Loti und schließlich ganz am Ende der Zusammenfluss von Alibeyköy und Kağithane. Dazwischen die Stadt, mal alt und kleinteilig, mal modern, die Gebäude viele Stockwerke hoch, immer wieder unterbrochen von den Kuppeln und Minaretten der zahlreichen Moscheen. Beeindruckend auch aus der neuen Perspektive. Von unten! Knapp über der Wasseroberfläche sitzend ist der Eindruck ein anderer, als wenn der Tourist eine Sehenswürdigkeit umrundet oder sich im Gassengewirr verliert - man fühlt sich klein und spürt die lange, reiche Geschichte der Stadt.
Am nächsten Tag eine ganz andere Perspektive, ein ganz anderes Wasser - das Marmarameer. Treffpunkt war das Gelände unseres Gastgebers, der Suadiye Kürek ve Kano Spor Kulübü. Auch hier wird in Coastalbooten gerudert, entlang der Küstenlinie grob Richtung Nordwesten. Hier stehen keine weltberühmten Sehenswürdigkeiten in Ufernähe, man sieht ein ganz anderes Istanbul. Vereinzelt am Ufer die alten Sommerhäuser der alten reichen Istanbuler Familien, dazwischen die Apartmenthäuser der neuen Mittelschicht. Am Ufer immer wieder Parkanlagen, Sportclubs, Yachthäfen und Ausflugsrestaurants und gegenüber, fast im Dunst verborgen, die Prinzeninseln.
Zu den Prinzeninseln sollte es am dritten Tag gehen. Doch ein starker Nordostwind (Poyraz) zwang uns, die Tour auf dem Goldenen Horn zu wiederholen. Eine Gelegenheit, genauer hinzuschauen und die Eindrücke zu vertiefen.
Zwischen den Rudertouren gab es ein touristisches und gastronomisches Programm. Unsere GastgeberInnen zeigten, wozu türkische Gastfreundschaft fähig ist: eine Stadtführung zu den großen, weltbekannten Sehenswürdigkeiten, der Hagia Sofia, der Sultan Ahmed Moschee, dem Hippodrom und dem großen Basar (Kapalı Çarşı), Abendessen in exklusiven Sportclubs, Leckerereien, um das Rudern zu versüßen, Tipps für die eigene Stadterkundung, darunter eine für ihren Panoramablick berühmte Dachterrasse eines Cafés in der Nähe des Galata-Turms oder ein Bummel über die İstiklal Caddesi und, und ..... der Platz fehlt, um alles aufzuzählen.
Wie überhaupt der Platz fehlt, all die Eindrücke wiederzugeben, die uns gefesselt haben. Eine so großartige, bunte, moderne und zugleich traditionsreiche Stadt kann kein kurzer Artikel erfassen. Zur Einstimmung auf einen Besuch, mit oder ohne Ruderboot, wird der Besuch und die Lektüre von Orhan Pamuks Museum der Unschuld (Masumiyet Müzesi) empfohlen.
An dieser Stelle ein herzliches Teşekkür ederim an Andac, Pelin, Emre, Sinan, Ali und dem jungen Emre, die uns die Tage so erlebnisreich und unbeschwert gestaltet haben, an Monika und Paul, die es in bewundernswerter Weise geschafft haben, dass immer dann, wenn es notwendig war, alle Mitreisenden zur gleichen Zeit am gleichen Ort waren und an die MitruderInnen, die eine fröhliche Gemeinschaft bildeten.
Noch ein Wort des Verfassers dieser Zeilen: Während unseres Aufenthaltes hat die türkische Staatsanwaltschaft den Bürgermeister von Istanbul, Ekrem Imamoğlu, verhaften lassen. Der Autor hofft, wie weite Teile der türkischen Gesellschaft, dass die Vorwürfe, die zu seiner Verhaftung geführt haben, bald von unabhängigen und freien Gerichten geprüft werden, die nur der demokratischen Gewaltenteilung und dem Gesetz verpflichtet sind.